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Wie Sie Wein bewusster wahrnehmen – und mehr genießen

Berlin. 

Schmeckt ein Wein fruchtig oder eher nussig? Flach oder komplex? Prickelt da besonders viel Säure im Gaumen?

Wein ist unheimlich vielseitig. Um ihn voll auskosten zu können, müssen wir unsere Sinne bewusst einsetzen. In diesem Überblick erfahren Sie, worauf Sie achten sollten – und wie Sie langsam herausfinden, welcher Wein Ihnen besonders gut schmeckt.

Was beeinflusst, wie Wein für uns riecht und schmeckt?

Wenn zwei Menschen denselben Wein trinken, ist es gut möglich, dass sie ihn unterschiedlich wahrnehmen. Das sind Gründe:

  • Veranlagung: Die Genetik wirkt sich auf den Geruchs- und Geschmackssinn aus. «Es gibt Superschmecker und solche, die weniger empfinden», sagt Verena Herzog, die Sommeliers ausbildet und Seminare zur Wein-Sensorik gibt.
  • Ernährungsgewohnheiten: Wer etwa seinen Kaffee stets mit zwei Teelöffeln Zucker trinkt, reagiert bei Wein weniger empfindsam auf Süße.
  • Erfahrungen: Gerade Gerüche sind stark mit unserer Gefühlswelt verknüpft. Was bei dem einen ein Wohlgefühl auslöst, kann den anderen an ein negatives Erlebnis erinnern.
  • Wahrnehmung: Um Eindrücke auch benennen zu können, braucht es einen geschulten Sinn. Mit offener Nase durch den Alltag zu gehen, ist ein guter Anfang. Wie riecht die Paprika auf dem Schneidebrett? Wie die Apfelblüte? Wie das frisch geschnittene Gras?

«Das ist wie Vokabeln lernen. Man speichert auf Dauer immer mehr Gerüche ab und kann sie dann schnell abrufen», sagt Yvonne Heistermann, Präsidentin der Sommelier-Union Deutschland.

Welche Begriffe muss ich kennen, um Wein bewusst trinken zu können?

  • Der Körper beschreibt die Textur des Weins. «Wenn wir ihn wie Wasser im Mund wahrnehmen, ist ein Wein schlank», erklärt Andreas Slepitzka, der in München Weinseminare leitet. «Ist er wie Pfirsichnektar, haben wir einen vollen, barocken Körper.»
  • Die Komplexität meint die Vielfalt an verschiedenen Aromen.
  • Als Abgang wird der Nachgeschmack des Weins bezeichnet. Sommeliers sprechen heute lieber von Nachhall oder Finale. Dabei gilt: je länger, desto hochwertiger.
  • Die Mineralik ist im Abgang eher spürbar als schmeckbar, erklärt Anja Schröder, die in Berlin die Fachhandlung Planet Wein betreibt. Die Expertin beschreibt das als «dezent kratzigen Eindruck von seidigem Schmirgeln» – was als Qualitätskriterium gilt.

Wie spielen die Sinne beim Genuss von Wein zusammen?

Sehen, riechen, schmecken: Wenn wir einen Wein probieren, greifen verschiedene Sinne ineinander. Manchmal spielen sie uns dabei Streiche. Das sind drei typische Fehlannahmen:

Missverständnis 1: Aromen schmecken wir über die Zunge

«Was wir glauben zu schmecken, riechen wir oft in Wahrheit», sagt Verena Herzog. Wenn wir beim Genießen eines Cabernets Sauvignon Brombeere erkennen, ist unsere Nase dafür verantwortlich.

Aromen nehmen wir über die Riechschleimhaut in der Nase wahr. Dort entsteht ein elektrischer Impuls, den unser Gehirn auswertet. «Wir haben dann ein Bild vor Augen, ob das jetzt ein Apfel oder eine Banane ist», sagt Herzog.

Was wir dagegen über die Geschmacksknospen der Zunge wahrnehmen, sind Süße, Säure, Salzigkeit, Bitterstoffe und Umami.

Das können sie selbst mit einer Zimt-Zucker-Mischung testen:

  • Halten Sie sich die Nase fest zu, schmecken Sie nur Süße.
  • Öffnen Sie die Nase, nehmen Sie das Aroma des Zimtes wahr.

«Ich erlebe in Seminaren häufig, dass Teilnehmerinnen und Teilnehmer dann geflasht sind», sagt Herzog. Wein-Profis ordnen die Aromen zwar dem Geschmack zu. «Aber wir müssen uns immer bewusst machen, dass wir das nur riechen», sagt Herzog. Es handelt sich um zwei Ebenen, die manchmal selbst angehende Sommeliers verwirren.

Missverständnis 2: Je kräftiger die Farbe, desto hochwertiger der Wein

Auch der Sehsinn führt uns manchmal in die Irre. Etwa dann, wenn die Farbe des Weins bestimmte Erwartungen weckt. Hat etwa ein Rotwein eine tiefe, intensive Farbe, halten ihn viele für besonders gut.

«Die Spitzenrebsorte in Deutschland im Bereich des Rotweins ist der Spätburgunder. Meine Erfahrung aus der Gastronomie ist aber: Viele haben ihn abgelehnt», berichtet Herzog. Der Grund: Die Trauben haben eine dünne Schale, daher hat der Wein ein eher blasses Farbbild. Viele schreiben ihm daher eine geringere Qualität zu.

Ganz anders der Dornfelder. Ursprünglich als sogenannte Färbersorte gezüchtet, um andere Rotweine dunkler zu machen, hat er sich als eigenständiger Wein durchgesetzt. «Und viele Menschen in Deutschland lieben ihn einfach wegen seiner Farbe», sagt Herzog.

Missverständnis 3: Aromen wirken sich auf den Körper aus

Ganz viel Beere, ein bisschen Lakritz: Bei besonders aromenintensiven Weinen neigen viele Weintrinker zur Schlussfolgerung, dass das zum Körper des Weins beiträgt. Doch das ist nicht so.

«Der Körpers eines Weins ist losgelöst von den Aromen», erklärt Herzog. Am Gaumen kommt nämlich der Tastsinn ins Spiel. Eine Rolle spielt dabei der Trigeminus, ein Nerv. «Wir können fühlen, ob ein Wein schwer ist, ob er kühlt oder wärmt, ob er etwas brennend ist durch den Alkohol, ob das Tannin mundfüllend ist.»

Wein riechen: Worauf kann ich achten?

Eine Sache fällt auch dem Weinanfänger und der Gelegenheitstrinkerin sofort auf: ob ein Wein gekorkt hat. Wenn er nach nassem Karton riecht, ist das der Fall. Dann ist der Wein nicht trinkbar.

Alles fein? Dann können sie im ersten Schritt auf die Intensität achten. Herzog beschreibt es so: «Muss ich dem Wein im Glas mit der Nase richtig entgegenkommen? Oder poppt der direkt aus dem Glas?»

Weinkenner versuchen nun, die Aromen zu erschnuppern.

1. Primäraromen

Das ist der durch die Rebsorte geprägte Duft. Gerade bei jungen Weinen spielen diese Aromen eine wichtige Rolle. Oft sind es fruchtige oder blumige Noten. Bei Weißwein etwa Zitrone, bei Roséwein Himbeere oder Rose und bei Rotwein Erdbeere oder Paprika.

2. Sekundäraromen

Das ist der Duft, der durch Vergärung und Ausbau des Weines geprägt ist. «Also das, was aus dem Keller kommt», sagt Herzog. Das kann durchaus eine rauchige oder würzige Note in den Wein bringen. Bei Weißwein sind das Aromen etwa von Butter, bei Rotwein von Kaffeebohnen oder Kokos.

3. Tertiäraromen

Das ist der durch die Reifung geprägte Duft. Hier findet man oft die Primäraromen wieder, die sich weiterentwickelt haben. Beispiele: von frischer zu kandierter Zitrone, von frischem Apfel zu Apfelringen.

Wein schmecken: Worauf kann ich achten?

Die Inhaltsstoffe, die sich am meisten auf den Geschmack auswirken, sind Restzucker, Säure und Alkohol. Man kann sie wahrnehmen:

  • Restzucker (Süße): Um diesen Geschmack aufzuspüren, konzentriert man sich auf die Zungenspitze. Hier schmeckt man die Süße am deutlichsten.
  • Säure: Sie bringt Frische und Lebendigkeit in den Wein und ist ein Gegengewicht zur Süße. Achten Sie dafür auf die Zungenränder. «Ist da viel Speichelfluss, ist viel Säure im Spiel», sagt Herzog.
  • Alkohol: Er wirkt wärmend, mitunter auch etwas süßlich. Eine hohe Alkoholkonzentration hingegen wirkt scharf und bitter – es handelt sich dann um einen schlecht produzierten, unausgewogenen Wein.

Die Tannine prägen weniger den Geschmack, sondern mehr das Mundgefühl. Man bemerkt sie als stumpfes Gefühl auf der Zunge oder der Wangenschleimhaut – ein bisschen wie beim Rhabarber.

Alles zusammen ergibt den Körper des Weines. «Also das Mundgefühl, das der Wein am Gaumen hinterlässt», sagt Herzog. Je mehr Alkohol und Tannine ein Wein enthält, desto mehr Körper hat er am Ende.

Wie komme ich den Aromen auf die Spur?

Machen Sie sich keinen Stress. «Man muss nicht gleich 10 oder 20 Aromen aus einem Wein herausschmecken», sagt Yvonne Heistermann. Eine kleine Auswahl an drei, vier Aromen reicht fürs Erste. Zwei Tipps:

1. Üben, üben, üben

Das ist wichtig, um die eigene Bibliothek an Aromen zu erweitern. Riechen Sie beim Kochen an den Zutaten. Das können die Paprika, die Orange, der Ingwer, die getrocknete Aprikose sein – alles typische Aromen, die sich auch in Wein wiederfinden lassen.

2. Das Aromarad

Dieses Hilfsmittel unterteilt Aromen in verschiedene Oberkategorien, die sich dann jeweils weiter verfeinern lassen. Entwickelt wurde es in den 1980er-Jahren an der University of California.

Manche Länder und Weinregionen haben auf dieser Grundlage eigene Varianten entwickelt, die auf ihre Rebsorten und deren typische Aromen zugeschnitten sind. So gibt der Bund deutscher Oenologen ein Aromarad für Deutschland heraus.

Aromen von typischen in Deutschland angebauten Rebsorten sind:

  • Riesling: Weinbergspfirsich, Apfel, Grapefruit, Rosenblüte, Honig, frisches Gras
  • Rivaner (Müller-Thurgau): grüner Apfel, Zitrone, schwarze Johannisbeere, Geranie, Muskatnuss, Litschi
  • Spätburgunder: Erdbeere, Süßkirsche, Brombeere, Veilchen, Rauch, Leder, Vanille

Wie finde ich heraus, was genau mir gefällt?

Das braucht etwas Zeit. Alleine zu Hause zum Sensorik-Profi zu werden, kann schwer sein. «Wenn ich das Riechen nicht geübt bin, ist es schwierig, wenn ich allein vor einem Glas sitze», sagt Herzog.

Um sich Weine noch besser erschließen zu können, ist es also immer gut, auf das Wissen von Menschen zuzugreifen, die sich besser auskennen.

1. Den Fachhändler fragen

Kaufen Sie Ihren Wein nicht im Supermarkt, sondern im Weingeschäft. Verena Herzog würde zum Beispiel fragen: «Was erwarten Sie an Aromen in dem Wein? Was kann ich auf der Zunge erwarten, wenn ich den trinke?» Das lässt sich mit der eigenen Wahrnehmung abgleichen.

2. Mit einem Weinführer arbeiten

Darin sind typische Aromen verschiedener Rebsorten beschrieben – und die kann man versuchen, beim Weintrinken nachzuvollziehen.

Beispiel Cabernet Sauvignon: Typisch für diesen Wein sind Aromen von Pflaume, Apfel, Kirsche oder Brombeere. Genau diese Früchte kann man sich auf einem Teller bereitlegen und zwischendurch an ihnen riechen bzw. von ihnen kosten. So kann man prüfen: Finde ich diese Aromen im Wein wieder? «Das macht nicht nur Spaß, sondern trainiert auch die Nase und den Gaumen», sagt Verena Herzog.

3. Seminare und Verkostungen

Sie helfen dabei, die eigene Wahrnehmung zu schulen und Wissen über Weine aufzubauen. Da vergleicht man jungen mit gereiftem Weißwein, den fruchtigen Rotwein mit dem mit Holzeinfluss aus dem Barrique. «Man probiert also Kontraste und kann sich dadurch selbst mehr schulen», sagt Yvonne Heistermann.

4. Keine falsche Scheu haben

Manche Einsteiger haben vielleicht Angst, sich mit naiven Fragen zu blamieren. Besser ist aber keine falsche Scheu zu haben: «Nie zurückhalten, immer fragen, egal ob man beim Fachhändler ist, im Restaurant, in einer Weinbar – und hoffen, dass man jemanden Kompetentes hat, der einem da gegenübersteht», sagt Verena Herzog. Wer sich mit Wein gut auskennt, hat oft Freude daran, sein Wissen zu teilen.

3 comments

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Jonas Fischer

Toll geschrieben und gut recherchiert

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Mia Braun

Aktuelle Nachrichten, perfekt zusammengefasst

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Emma Schulz

Toll geschrieben und gut recherchiert

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