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Die Königin der Hörspiele: Heikedine Körting wird 80

Hamburg. 

Dieser Raum ist eine wahre Zeitmaschine. Genau hier sind vor Ewigkeiten all die Kult-Sätze aufgenommen worden, die Millionen Hörspielfans nachbeten können. Sätze wie «Justus, er hat ein Messer» oder «Klößchen, ich glaube, mein Schwein pfeift». In der Mitte des Hörspielstudios Europa in Hamburg steht ein uraltes Aufnahmepult von der Größe einer Kirchenorgel. Magnetbandgeräte mit Holzfurnier, diskret verbunden zu High-End-Elektronik des Jahres 2025. 

An diesem Pult entstand im Jahr 1979 «Der Super-Papagei», das allererste Hörspiel der Jugendkrimireihe «Drei ???». Auch die Serien «TKKG», «Hanni und Nanni» oder «Fünf Freunde» kamen hier in die Welt. Die Frau hinter all diesen Hits, Heikedine Körting, wird am 18. Juni schon 80 Jahre alt. 

Die Regisseurin flitzt noch immer flink in ihrem Studio hin und her. Sie spannt Bänder ein, sie schiebt Regler vor und zurück, sie drückt Knöpfe. Schritte kommen aus dem Lautsprecher, werden halliger – unheimlicher.

Viele verbinden das Label Europa vor allem mit Nostalgie – die Chefin ist aber immer technisch mit der Zeit gegangen, hat immer die besten Geräte gekauft. «Wir produzieren die meisten Geräusche für jedes Hörspiel immer noch selbst.» Legendäre Europa-Sounds: das Hundebellen, die Kreissäge, die knarrende Tür. 100.000 Geräusche hat sie gesammelt.

Sie holte Stars ins Studio, die modernes Theater satthatten

Die zierliche, quirlige, lebenskluge Dame ist gewiss eine der einflussreichsten Frauen aus der deutschen Popkultur der vergangenen 50 Jahre, auch wenn nicht unbedingt jeder ihren ungewöhnlichen Namen kennt, inspiriert von einer Ur-Großtante. Schon drei Generationen sind mit ihren Jugend-Abenteuern aufgewachsen. 

Ihr erstes Hörspiel produzierte Körting bereits als kleines Mädchen: «Eine Freundin von mir hatte über die Eltern ein Tonband, da haben wir als kleine Kinder schon Hörspiele aufgenommen, mit verteilten Rollen.» Anfang der 1970er wurde es zu ihrem Beruf.

Allein von den «Drei ???» – mit über 55 Millionen verkauften Tonträgern die erfolgreichste Hörspielreihe der Welt – sind bisher rund 250 Folgen erschienen. 32 Milliarden Streams wurden bis heute gezählt. «Es gibt kaum irgendeinen berühmten deutschen Schauspieler, der nicht auch gerne in den Hörspielen mitgemacht hat», erinnert sich Körting. 

Unvergessen Peter Pasetti als Alfred Hitchcock oder Horst Frank als Kommissar Reynolds. Immer wieder Jürgen Thormann, die deutsche Stimme von Michael Caine. TV-Stars wie Katharina Brauren, Judy Winter, Hans Clarin. Sogar Amanda Lear – Künstlerin, Sängerin und Muse von Salvador Dalí – machte schon mit. 

«Viele Schauspieler – gerade die etwas Älteren – waren damals auch ein bisschen vom Theater frustriert», so Körting. In den 1970ern sei das «Regietheater» im Trend gewesen. «Ich weiß noch, wie Hans Paetsch sagte: «Ich halte es nicht mehr aus, ich gehe nicht mehr da hin. Ich komme zu einer Probe. Früher hatte jeder, wenn er zur Probe kam, seinen Text intus und dann haben wir geprobt. Jetzt ist es so: Viele kommen und fangen dann erst an zu lernen. Ich mache das nicht mehr mit.»» Solche Schauspieler habe sie für das Hörspiel eingefangen. Paetsch (1909-2002) gilt als wichtigster Märchenerzähler bei Europa.

Die gerade erschienene, sehr lesenswerte Biografie von Hörspielforscher C.R. Rodenwald rollt die Familiengeschichte der Grande Dame Körting auf, die in der Branche oft «die Hörspielkönigin» genannt wird und seit 2022 das Bundesverdienstkreuz trägt. 

Als Kind war sie gelähmt und träumte sich davon

In dem Buch «Heikedine Körting – Die Königin der Hörspiele» erfahren Fans vieles aus Kindheit und Jugend, das bisher unbekannt war. Mit sieben Jahren erkrankt Körting an Polio. Sie verbringt Monate mit der Kinderlähmung isoliert in einem Krankenzimmer, das ihre Familie zu Hause eingerichtet hat. Das kleine Mädchen flüchtet sich in eine Fantasiewelt. Mit Tabletten, Training und Gymnastik überwindet sie schließlich auf einem Bauernhof in Bayern diese schreckliche Zeit, die sie sehr prägte. 

Schulprobleme begleiteten sie durch die Jugend. «Ich fantasiere zu viel, stand beispielsweise unter meinen Aufsätzen», erinnert sich Körting heute. Noch mehr nervte die Lehrer aber, dass Teenager Heikedine so vielen jungen Männern den Kopf verdrehte. 

Eine große Liebe ihres Lebens war der Musikwissenschaftler und Hörspielproduzent Andreas Beurmann (1928-2016). Ihr langjähriger Ehemann war fast 20 Jahre älter als sie. Das war durchaus Thema, als sie als junge Jura-Studentin bei ihm einzog. Die beiden galten in den 1980ern in Hamburg als Glamour-Paar. Millionen Menschen kennen Beurmanns Stimme als die Figur Onkel Titus. 

«Einige – nicht alle – waren der Ansicht, ich dürfte nur hinter dem Mischpult sitzen, weil mich Andreas Beurmann protegiere. Dabei hatte er mir das Mischpult gar nicht erklärt. Ich hatte mir einfach alles selbst beigebracht.» 

Als Körting 1979 mit den Sprechern Oliver Rohrbeck (Justus Jonas), Jens Wawrczeck (Peter Shaw) und Andreas Fröhlich (Bob Andrews) die Reihe «Die drei ???» begann, wurden zwei der drei noch im Linienflugzeug aus dem eingemauerten West-Berlin zu Aufnahmen eingeflogen. Die Teenager von einst sind inzwischen Männer in den besten Jahren. Ihre Stimmen heute: alterslos.

«Der Junge darf nicht mehr schwarzfahren»

«Und das ist eben auch das Wunderbare», so Körting. «Dass Sie keine zwölf oder 13 Jahre mehr alt sind, auch von der Stimme natürlich nicht mehr. Aber sie haben immer noch dieses kindlich-jugendliche Verhalten, den Duktus, die Art und Weise zu sprechen.» Sie versuche auch in keiner Form, die drei Junior-Detektive etwas höher oder als Kinder sprechen zu lassen. «Aber sie selber sagen: «Wenn ich sie frage: In dem Moment, wo sie in ihre Rolle schlüpfen, da sind sie halt wieder Justus, Bob und Peter. Egal, in welchem Alter sie sind.»»

Dennoch hat sich das gesellschaftliche Umfeld mit den Jahrzehnten gewandelt. Körting ist manchmal etwas irritiert darüber, wie die Spielräume, was in einem Hörspiel sagbar ist, zuletzt geschrumpft sind. «Es gibt viel mehr Vorgaben, auf die man achten soll. Wissen Sie, was ich alles nicht darf? Der Nikolaus darf die Rute nicht mehr aus dem Sack holen. Der Hund darf nicht mehr mit dem Schwanz wedeln. Der Junge darf nicht mehr schwarzfahren. Ich habe so eine Latte von Sachen, die wir nicht mehr machen können. Wer denkt sich denn was Übles dabei?»

Sicher ist dennoch: Die «Hörspielkönigin» wird weiter mit der Zeit gehen und weitere Kindergenerationen in ihre akustische Welt hineinziehen. Übrigens nutzt sie ebenso wie Millionen anderer Zuhörer ihre Hörspiele abends als Schlafmittel: «Bei Hörspielen kann ich wunderbar einschlafen. Das hat so einen Charme und man weiß, es geht alles gut aus.»

2 comments

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Tim Becker

Sehr informative Analyse

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Lukas Müller

Super verständlich aufbereitet

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